Christian, wohl jeder hat schon mal von Krafttraining, Cardio- oder Ausdauertraining gehört. Aber was ist Functional Training?
CV: Functional Training ist eine Trainingsform, die enorm vielseitig ist und demnach auch in vielen Bereichen angewendet werden kann. Das reicht vom Hobbysport über den Leistungssport bis hin zur Rehabilitation.
Woher kommt die Trainingsform und wie lange gibt es sie bereits?
CV: In den 80er Jahren wurde Functional Training in Amerika ursprünglich dafür entwickelt Patienten in der Reha-Phase zu unterstützen, etwa nach Operationen oder Schlaganfällen. Es sollte dabei helfen die Mobilität zu verbessern oder Bewegungsabläufe wiederzuerlernen. In den 90er Jahren wurde man im Leistungssport darauf aufmerksam: Profisportler erkannten die Vorteile, das Trainingsprogramm breit gefächerter zu gestalten – speziell was Beweglichkeit, Flexibilität, Stabilität, Reaktionsgeschwindigkeit und Kraft betraf.
Seit wann kennt man Functional Training auch in Europa?
CV: Ebenfalls seit den 90er Jahren. Anfangs war es allerdings nur im Leistungssport Thema. Im Breitensport hattes man es zu dieser Zeit nicht auf dem Radar.
Das hat sich geändert?
CV: Ja. Auch im Breitensport erkannte man die Effizienz von Functional Training dann doch recht schnell. Tatsächlich war Jürgen Klinsmann wohl einer der bekanntesten Botschafter der Trainingsmethode hier bei uns. Er hatte Functional Training in Amerika kennengelernt und ließ die deutsche Elf damit trainieren. Anfangs wurde er dafür belächelt. Doch recht schnell diskutierten Sportwissenschaftler über dessen Effektivität. Denn es gibt Bewegungsabläufe, die mit der Sportart an sich nicht so wahnsinnig viel zu tun haben, dem Sportler langfristig aber helfen und ihn unterstützen, wenn er diese trainiert. Dieses Umdenken führte dann dazu, dass es um die Jahrtausendwende eine regelrechte Functional Training Schwemme gab. Mittlerweile hat sich die Trainingsform in der deutschen Fitnesslandschaft auf allen Ebenen etabliert.
Was ist das Ziel von Functional Training?
CV: Es ist eine Trainingsform, mit der sich unglaublich viel bewirken lässt, weil sie so vielseitig ist und ganz flexibel an die individuellen Bedürfnisse anpassbar ist. Mit Functional Training kann man Stabilität, Mobilität und vieles mehr trainieren. Der Bewegungsradius wird erweitert. Reaktionsfähigkeit und Gleichgewichtssinn werden verbessert. Das ist zum Beispiel etwas, das auch im Alltag ungeheuer wichtig ist.
Wie ist das zu verstehen?
CV: Das Manko an Gleichgewicht und Reaktionsschnelligkeit beeinflusst uns auch im Alltag und kann Risiken bergen.
Kannst du Beispiele nennen?
CV: Nehmen wir zum Beispiel das Ausrutschen. Wer schnell genug reagiert und über ein gutes Gleichgewichtsgefühl verfügt, kann einen drohenden Sturz unter Umständen vermeiden. Auch das Trainieren von Bewegungsabläufen, die man im Alltag braucht, kann Teil des Trainings sein. Ich denke da an das Treppensteigen, das gerade bei älteren Menschen immer wieder zu gefährlichen Situationen führen kann.
Wie sieht es bei Einschränkungen und Beschwerden aufgrund unseres modernen Lebensstils aus – etwa der zunehmenden Zahl von Menschen mit Rückenbeschwerden?
CV: Ein gutes Argument. Der Mensch ist genetisch auf Bewegung programmiert. Nur sind wir aufgrund der gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen immer fauler geworden. Wir sind zu Büromenschen mutiert, sitzen acht, neun Stunden und mehr vor dem Computer, bewegen uns so gut wie gar nicht mehr. Verhärtungen, Versteifungen, Verkürzungen und Rückenschmerzen sind weitverbreitete Beschwerden. Um diese in den Griff zu bekommen, kann man mit Functional Training sehr gut ansetzen. Und das noch dazu ohne großen Aufwand! Es gibt Übungen, die kann man sogar im Büro machen.
Können auch Sportanfänger gleich mit Functional Training beginnen?
CV: Functional Training ist enorm breit gefächert und wirklich für jeden geeignet, natürlich auch für Sportanfänger. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn man damit auf eigene Faust beginnen will, weil man darüber gelesen hat oder es im Internet gesehen hat.
Ist die Gefahr etwas falsch zu machen zu groß?
CV: Ja, die besteht. Functional Training bedeutet Bewegungsabläufe, die uns im Alltag begegnen, mit dem eigenen Körpergewicht durchzuführen. Macht man das nicht kontrolliert oder gar fehlerhaft bzw. wendet man eine Übung an, die nicht wirklich für einen geeignet ist, kann das schnell zu einer Überlastung führen. Speziell in der Reha empfehle ich deshalb immer Functional Training unter Aufsicht zu machen. Egal, ob es nach einer OP, Entzündung oder bei Gelenkverschleiß ist.
Es ist also ratsam mit einem Trainer zu trainieren?
CV: Eine Einweisung durch einen Profi ist immer ratsam! Das gilt übrigens nicht nur für das Functional Training. Auch beim Krafttraining kann man einiges falsch machen. Auch sollte man die Bewegungsabläufe immer wieder mal von einem Trainer kontrollieren lassen, damit sich keine Fehler einschleichen. Das rate ich auch geübten Sportlern. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Personal Trainer auch die Intensität des Trainings individuell anpassen kann, damit die angestrebten Trainingsziele wirklich erreicht werden.
In der Rosenalp wird Functional Training im Rahmen des Aktiv- und Fitprogramms angeboten. Ist es sinnvoll daran teilzunehmen, wenn man für eine Kur in die Rosenalp kommt? Oder sind andere Aktivitäten empfehlenswerter?
CV: Der Kurs, den wir im Rahmen unseres wöchentlichen Sportprogramms im Hotel anbieten, ist doch etwas intensiver. Für Kurgäste gibt es eine ganze Reihe von Angeboten, die besser geeignet sind, wie Pilates, Be Balanced, Wirbelsäulengymnastik etc. Allerdings schließe ich die Teilnahme eines Kurgastes nicht kategorisch aus. Beim Basenfasten zum Beispiel wird der Körper mit deutlich mehr Kalorien versorgt als beim Heilfasten. Fühlt sich ein Gast während einer solchen Kur gesund und fit, kann er gerne auch am Functional Training teilnehmen.
Wo bzw. wie kann man Functional Training betreiben, wenn man nicht gerade Gast in der Rosenalp ist? Muss man dafür in ein Fitnesscenter oder kann man es auch zu Hause ausüben? Benötigt man Geräte dafür oder geht es auch ganz ohne?
CV: Für die meisten Übungen beim Functional Training benötigt man keine Geräte. Man spricht dabei von Grundübungen oder Basics. Das Paradebeispiel ist die Kniebeuge: Eine sensationelle Übung, unfassbar effizient und hochfunktionell. Sie geht in die Beine, trainiert das Gesäß, den Rücken und der Energieaufwand ist enorm. Diese Übung kann man problemlos überall machen. Wichtig ist allerdings auch hier die korrekte Ausführung. Core-Stabilität, Sprunggelenksmobilität, Knie- und Hüftgelenkswinkel, Rückenstabilität, Mobilität und Flexibilität der Hüfte, das alles muss stimmen. Bei dieser sogenannten Mehrgelenksübung sind derart viele Bereiche gefordert, dass der Kniebeuge kaum eine andere Übung das Wasser reichen kann. Dementsprechend kann man dann eben auch einiges falsch machen.
Wie oft sollte man Functional Training betreiben, um Ergebnisse zu erzielen und wie schnell stellen sich diese in der Regel ein?
CV: Generell hält sich bei vielen immer noch der Irrglaube, jeden Tag Sport machen zu müssen. Ganz wichtig aber ist: Der Körper braucht Regenerationsphasen! Ohne diese wird man keine Trainingsfortschritte sehen. Im Grunde gilt: Je intensiver man trainiert, desto weniger oft pro Woche sollte man das tun. Die Muskeln und das Herz-Kreislauf-System müssen sich jeder neuen Belastung erst mal anpassen und dafür benötigt der Körper bei intensiver Trainigsbelastung gerne mal zwei bis drei Tage Trainingspause. Trainingsfortschritte stellen sich am Anfang recht rasch ein. Da kann man bereits in den ersten Wochen Erfolge beobachten. Je fortgeschrittener und trainierter man ist, desto komplexer wird es, weitere Trainingseffekte zu erzielen. In diesem Stadium geht es darum, viele verschiedene Stellschräubchen genau einzustellen, um das nächste Trainingsziel zu erreichen.
Wie sieht also ein guter Trainingsrhythmus aus? Wie viel Zeit sollte man zwischen den Einheiten für die Regeneration einplanen?
CV: Zweimal pro Woche zu trainieren ist das Minimum. Alles, was darüber hinausgeht, ist von der eigenen Regenerationsfähigkeit abhängig. Also davon, wie gut und schnell man von der Belastung der Übungen regenerieren kann. Das ist individuell und abhängig von Alter, Geschlecht, Genetik, Vorbelastungen etc.
Wie sieht eine ideale Trainingseinheit vom Zeitaufwand her aus?
CV: Auch das ist sehr individuell. Die Übungen können recht fordernd sein. Und es kommt darauf an, wie sehr man sich dabei belastet. Die individuelle Trainingsbelastung zu definieren ist unglaublich wichtig.
Da kommt wieder der Personal Trainer ins Spiel?
CV: Genau. Er kann die Trainingswirksamkeit exakt gestalten, definiert eine gewisse Mindestintensität, vermeidet jedoch eine Überlastung. Ist die Belastung nämlich zu gering, bleibt der Trainingserfolg aus.
Wie sieht das Functional Training in der Rosenalp aus?
CV: Ich habe es als Zirkeltraining mit sieben bis acht Stationen aufgebaut, durch die alles abgedeckt wird: Kondition, Schnelligkeit, Stabilität, plus eine statische Übung für die Muskelspannung. Den ganzen Parcours durchläuft man dann auf Zeit. Vorab gibt es eine Aufwärmrunde, um die einzelnen Übungen kennenzulernen. Dabei überwache und korrigiere ich die Ausführung und die Teilnehmer kriegen ein Gefühl für ihre eigene Konstitution. Darauf folgen mehrere Runden, bei denen man jede Übung zwischen 30 und 60 Sekunden lang im eigenen Wohlfühltempo absolviert. Die Länge der Übungsintervalle stimme ich jeweils auf die Teilnehmer-Gruppe ab.
Die Kurs-Einheit insgesamt dauert dann wie lange?
CV: Insgesamt 30 Minuten. Nach der Aufwärmrunde gehen sich dann meist drei Runden aus. Zum Abschluss gibt es dann noch ein Cooldown mit Dehnen und Stretchen – ganz locker.
Wie viele Gäste können am Zirkeltraining teilnehmen?
CV: Ein Gast pro Station – also maximal acht Teilnehmer.
Wie würdest du abschließend die Vorteile von Functional Training zusammenfassen?
CV: Jeder kann es machen! Es ist sehr zeiteffizient, in 30 Minuten hat man wirklich viel getan. Man braucht kein Fitnessstudio. Man kann es in den eigenen vier Wänden machen und täglich – von Trainingstag zu Trainingstag – variieren. Aber noch einmal: Die Ausführung der Übungen muss passen! Denn ist der Bewegungsablauf nicht so wie er sein sollte, kann man andere Körperbereiche dadurch auch etwas schwächen, z. B. einen Gelenkverschleiß begünstigen. Oder aber man macht zu viel. Besser ist, es langsam anzugehen. Will man zu Hause trainieren, sollte man definitiv über eine gewisse Basis verfügen oder vorab einige Male mit einem Trainer trainiert haben.
Und auch zwischendurch immer wieder mal die Ausführung der Übungen von einem Trainer überprüfen lassen?
CV: Das macht auf alle Fälle Sinn. Es können sich Kleinigkeiten einschleichen, die auf Dauer schädigend wirken. Zudem hilft ein solcher Check dabei die Effizienz zu gewährleisten. Denn nur durch eine konsequente Steigerung des Trainings lassen sich neue Ziele erreichen.
Reicht es, ausschließlich Functional Training zu betreiben? Oder sollte es vielmehr Teil eines kompakten Trainingsprogramms mit Kraft- und Ausdauertraining sein?
CV: Man sollte auf alle Fälle vielfältig trainieren. Das macht nicht nur mehr Spaß, es ist auch effektiver. Ich denke jeder hat seine Lieblingssportart, läuft gern, fährt Rad oder macht Krafttraining. Functional Training ist die ideale Ergänzung dazu, mit der sich enorm viel abdecken lässt.
Christian Vilsmeier, wir danken für das Gespräch.
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